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Rezensionen und Veröffentlichungen über meine Werke



Einzelausstellung in Galerie Rosemarie Bassi - 18. September 2022


Die Einführung sprach Prof. Dr. Dieter Ronte.

"Diese Ausstellung ist, wenn man so auf der letzten Dokumenta war oder der Vorletzten, eine sehr erfrischende Ausstellung, weil sie zeigt, dass Kunst doch noch eine Selbständigkeit hat, dass Kunst ein Kosmos ist, der vieles in sich vereint, was aus der Vergangenheit kommt, aus der Gegenwart, aber in die Zukunft wächst.

Wenn sie diese Bilder anschauen, aus der Art Block-Serie, sehen sie eine sehr komplizierte Art von Malerei, die dreidimensional ist, Folie mit Farbe und Resin, einem Kunstharz, und wenn sie mal versuchen würden, irgend so ein Bild einem Mitmenschen telefonisch zu beschreiben, werden sie feststellen, dass sie ganz schnell scheitern. Das sie einfach nicht mehr begrifflich sprachlich so formulieren können, dass derjenige, der das Bild nicht sieht, sagen kann, so muss es aussehen. Versuchen sie mal, so ein Wasserbild zu beschreiben oder so eine Landschaftsinspiration.

Dazu muss man wahrscheinlich immer wieder bedenken, dass Frau Esch erst mit 40 Jahren angefangen hat, sich der Kunst zu widmen, nachdem sie früher aus einem bürgerlichen regelmäßigen Geschäftsleben die Welt bestritten hat.

Und dass sie dann viele Sommerakademien besucht hat z.B. Alanus, Atelier für Bildende Kunst, Ottersberg, immer spontan auf kurze Zeit sich informiert hat, dort Aktmalerei gelernt hat, in Farbe zu gehen gelernt hat. Im Europäischen Kulturzentrum bei Rosemarie Bassi ist sie seit 2005.

Also sie hat nicht die klassische Ausbildung eines Künstlers, in der man sich mit 18 Jahren an einer Akademie bewirbt, dann wird er aufgenommen und kommt in eine Meisterklasse, und dann muss er wieder, wenn er den Meister selbst gemacht hat, dann braucht er fünf, sechs, sieben Jahre, bis er sich von diesem Meister erholt hat.

Bei den jungen Galerien habe ich ganz viele junge Maler gesehen, befragt, sage ich: komisch, dass hat er auch gemacht, kenne ich gar nicht, dann geht’s du hin und dann steht dort ein anderer Name, ist ein Schüler. Und das ist leider etwas, was uns heute überall begegnet.

Und das andere Faktum, was diese Ausstellung auch aufgibt ist, dass die Kunst eben nicht nur eine politische Aussage in der Vergrößerung einer Momentalisierung einer Karikatur ist, wie wir es auf der Dokumenta erleben, dass es auch keine Kunst mehr ist, die ganz einseitig auf einen Punkt hin ausgerichtet ist.

Das, was Thomas Borgin „Vereindeutigung der Welt“ nennt: die Welt ist nur erklärbar, wenn man EINE bestimmte Aussage trifft. Museen fangen inzwischen an, ihre Bilder dahingehend aufzuhängen. Alte Meister kommen nur an die Wand, wenn gegenüber ein junger Meister dasselbe Thema, ein Drythema, Berührungspunkte hat. Dann werden sie wieder gezeigt, das ist eine Erklärung der Welt.

Das letzte, dass hat Rosemarie mich gebeten zu sagen wäre, die vorletzte Dokumenta nehme, und da habe ich gelernt, dass ein Kunstwerk nur noch der optische Beleg ist für die Richtigkeit einer sozikulturellen These eines freien Kurators.

Wenn sie dann durch diese Ausstellung gehen, dann kommt Freude auf, dann kommt Emotion auf, dann kommt Wachheit auf, dann werden sie angeregt, und dann lernen sie auch, dass was Umberto Eco di Opera aperta über die Kunst gesagt hat: das Kunstwerk ist nicht sozusagen das starke Finish oder die perfekte Darstellung von einem Inhalt, sondern ist eine Anregung für Mitsehen und Mitdenken. Sie beschreibt das selber auch sehr genau. Alles, was sie macht, ist sehr genau belegt, die Tagebücher, die Untersuchungen zeugen davon.

Sie ist ein gnadenlos optimierender Mensch, bis sie dann in die Arbeit geht, sich dann wieder von den Kenntnissen frei macht, spontan wird, und dann nicht anfängt zu illustrieren wie diese Landschaft hier, sondern zum Teil bringt sie ihre Erfahrung in das Bild. Und während des Machens verselbständigt sich das Bild und es kommt eigentlich das heraus, was man bei Michelangelo schon mal festgestellt hat, das so genannte „Non Finito“. Man hat das Gefühl, diese Arbeiten sind in einem Prozess, der eigentlich immer weiter geht und weiter geht. Und an diesem Prozess ist der Betrachter vehement beteiligt. Das, was Umberto, dass Opera Umberto nennt, dass offene Kunstwerk , weil jeder Betrachter das Kunstwerk anders erfährt und sieht. Wenn sie mit solchen Bildern zu Hause leben, dann werden sie feststellen, dass sie das Bild morgens ganz anders sehen als abends. Das sie, wenn sich das Licht am Tage verändert, immer wieder ein neues Bild haben. Weil diese Bilder in sich so offen sind, weil sie nichts Abschließendes sagen. Dabei sehen wir hier nur einen Blick in einen Teil ihrer Arbeiten. Denn sie ist eine sehr neugierige Person. Und da sie nie akademisch degeneriert worden ist, hat sie auch die Freiheit, sich immer wieder neu zu untersuchen. So hat sie auch unglaubliche Installationen gemacht. Dinge, die sie sieht, kann sie aufnehmen verarbeiten, z.B. der Kaktus, QR-Code, jede Menge, die sie macht.

Denn sie glaubt an das Leben, sie glaubt an die Kunst, und sie weiß, dass wir Kunst brauchen. Und das Kunst nicht nur die Illustration unseres Alltags ist und eine Darstellung eines bestimmten Punkt in unserem Leben. Und das Kunst ein großer Werdegang ist.

Intino Vagitite bei jeder einzelnen Arbeit kommt das raus.

Und dann ist sie ehrlich. Wenn sie mit der Walze eine Monotypie macht und dann velocita, Geschwindigkeit nennt.

Dann gibt es Arbeiten wie Königin Europa, die wahrscheinlich etwas länger dauern kann, oder riesige Installationen wie die Wärmebilder, die sie gemacht hat, und mit völlig neuen Techniken anfängt zu arbeiten und dann geht sie sehr systematisch vor, wenn sie glaubt, dass sie an dem Punkt ist, sie beherrscht es, dann wird sie wieder als Künstlerin frei und kann so argumentieren, wie sie will und kann sich auch selbst von dem Bild überraschen lassen. Und das ist ein Prozess, der unglaublich gut ist oder wenn ich das mal so auszudrücken soll, ich habe ein Buch geschrieben mit Holger Bonus, über die Ware Kunst.

Und es gibt so was wie eine Quasirente. Wenn man also wenig bekommt, aber auf Dauer. Wenn sie so ein Bild haben, haben sie eine ästhetische Quasirente. Sie werden das Bild morgens, mittags, abends sehen, jeden Tag, 5 Sekunden, 10 Sekunden. Sie werden feststellen, dass das Bild eine ihrer besten Gesprächspartner ist, die sie sich vorstellen können. Gratuliere zur Ausstellung"

Remagen 18.September 2022, Prof. Dr. Dieter Ronte



Ein Besuch im Atelier von Charlotte Esch


Prof. Dr. Daniel Aebli

Zu ihrem Werk „Da-gewesen – Spuren einer Familie“

Ich lernte Charlotte Esch und ihre Familie durch einen Zufall kennen. Ihr Vater war mein Mitpatient im Zimmer einer Klinik. Dort wurden mir in längeren Gesprächen die Umrisse ihrer Biographie und ihres künstlerischen Werdegangs bekannt. Daraus ergab sich die Möglichkeit, eines ihrer Werke zu besprechen, und daraus wiederum der Besuch in ihrem Atelier in Bonn-Buschdorf, der von einem weiteren klärenden Gedankenaustausch gefolgt war. Der Besuch war zu kurz, um das umfangreiche Werk der Künstlerin umfassend und gleichmässig zu sichten und zu würdigen. Das leistet überblicksweise der Beitrag von Frau Dr. Wirth. Hier geht es darum, versuchsweise den Standort und den Stellenwert eines der jüngeren Werke in der Entwicklung der Künstlerin zu erschliessen. Hilfreich waren dabei ihre mündlichen und schriftlichen Erläuterungen. Die kunstgeschichtlichen und philosophischen Vergleichsbezüge haben punktuellen und kursorischen Charakter und erheben keinerlei systematischen Anspruch.

Das Oeuvre von Charlotte Esch gliedert sich in zwei Bereiche, die selbstverständlich miteinander kommunizieren, sachlich aber doch auch deutlich voneinander getrennt sind, nämlich einmal die Malerei im weiteren Sinne, also unter Einschluss der Zeichnung, welche sich technischer und kompositorischer Mittel bedient, die als traditionell oder konventionell bezeichnet werden können, was hier nur scheinbar pejorativ klingt, und dann die Objekte, Installationen und Projekte, die derjenigen Sphäre zuzurechnen sind, welche etwas global als „Gegenwartskunst“ firmiert. Dieser, um gleich ein Werturteil voranzustellen, interessante und ansprechende „Überbau“ ist bei Charlotte Esch durch eine solide „Basis“ handwerklichen Könnens abgesichert, welche in jenem ersten Bereich begründet ist. Dies sollte an sich selbstverständlich sein, ist es aber leider heutzutage vielerorts nicht (mehr), wo von Kunst und Künstlern die Rede ist. Im Gegensatz hierzu gibt sich Charlotte Esch selbst genau Rechenschaft über den Ursprung, die Möglichkeiten und die – verschiebbaren! - Grenzen ihrer künstlerischen Tätigkeit und Erfahrung. Ihr „angeborenes“ Talent und das Element, in dem sich ihre „Natur“ bewegt, ist eindeutig die Farbe. Das belegt eindrücklich ihr erst jüngst vollendetes, monumentales Triptychon „Welt der Farben“ (2014). Anders verhält es sich bei ihr mit dem anderen grundlegenden Moment der Kunst, der Zeichnung (Disegno). Hier hat sie buchstäblich „Mühe“ und verordnet sich selbst in bewusster Absicht programmatisch Arbeit und Übung, um möglichst ein Gleichgewicht zwischen den beiden Faktoren zu erreichen, welche in der künstlerischen, kunstkritischen und kunsthistoriographischen Tradition seit jeher einen charakteristischen Gegensatz bilden (Florenz-Venedig, Poussinisten-Rubenisten, Wölfflin: linear-malerisch). Dieser korreliert, ohne deckungsgleich zu sein, mit der subjektiven Disposition der Künstlerin, in der die rationale, ja, wie sie selbst sagt, „buchhalterische“ Planung ihrer Arbeit im Dienste ihrer emotionalen Ausdruckswerte steht, den – ebenfalls Originalton - „zwei Herzen“ in ihrer Brust. Schon ein flüchtiger Blick in Charlotte Eschs zahlreiche, wohl geordnete und datierte Skizzenbücher verrät ihre fleissige Bemühung um die Form und die Linie („nulla dies sine linea“), vor allem im Aktzeichnen, an das sich auch das Zeichnen nach der plastischen Form anschliesst. Das stimmt zu ihrer Erklärung, dass der Mensch im Zentrum ihres Schaffens steht, mehr jedenfalls als die Landschaft und das Stilleben, die sie jedoch in ihrem Streben nach künstlerischer Vielfalt keineswegs vernachlässigt. Die respektablen und glücklichen Resultate dieser zielstrebigen Bemühungen, eine schöpferische Synthese jener Gegensätze zeigen ihre Kupferdrucke („Sitzende Frau I“, „Mädchen in der Matrix“, „Sitzendes Mädchen im Licht“, „Matrixwelten II. Gegenwart-Vergangenheit-Zukunft“, alle 2012), bei denen die figürliche Zeichnung und ihre Kontur der farblichen Komposition, die sie „überarbeitet“, akzentuiert und zugleich verunklärend auflöst, buchstäblich „zum Grunde liegt“. Der Mensch taucht hier in seiner gattungs- und geschlechtsspezifischen Identität und – bei Mehrfigurigkeit – interaktiven Kommunikation in das Universum der Farbe ein.

In der Kunstgeschichte ist das Porträt die Schwester des Aktes. Wo sich die Kunst (bei den Griechen, in der Renaissance) aus archaisch-mittelalterlicher Gebundenheit emanzipiert, folgt der Entdeckung des anatomisch korrekt dargestellten und bewegten Leibes mehr oder weniger gleichzeitig diejenige der individualisierten Persönlichkeit, wenn auch noch oft in den Schranken des Standes und des Geschlechts. Hier begegnet Charlotte Esch aufschlussreichen Schwierigkeiten. Sie erzählt von ihren nicht seltenen Versuchen mit Porträts. Bei einem der Dargestellten stiess sie ausdrücklich auf Vorbehalte. Zwei Hauptwerke bezeugen jedoch ihre hartnäckige Auseinandersetzung auch auf diesem Gebiet. Die beiden Köpfe im Vordergrund des Gemäldes „Brennende Stadt“ (2011) sind zweifellos primär als Typen gemeint, zeigen jedoch auch porträtmässige Züge. Das „Gesellenstück“ der Malerin, das anlässlich des Abschlusses ihrer Basisausbildung entstand und deren kommunikative Situation thematisiert, „Rosemarie und ihre Frauen“ (2008), ist ein malerisches Gruppenporträt und gehört damit zu einer traditionsreichen Gattung, die in Holland mit Höhepunkten bei Rembrandt und Hals begründet wurde. Die Figuren sind hier aus deckend und transparent angelegten (an Schlemmer erinnernden) Farbflächen aufgebaut, deren kurvilineare Konturen sie mit der (auch sozial zu deutenden) Umgebung verbinden. Insofern überwiegt auch hier (noch?) die, künstlerisch und biographisch durchaus erklärbare und verständliche Intention auf die überzeitlichen Typen eines Zustandsbildes, welche die Künstlerin auch beibehalten möchte und soll, obwohl die Situation als historisch reale in ihrem Leben verankert ist. Die kompositionelle Zuwendung der Figuren zueinander wird bereits hier durch die, für Porträts stets entscheidende Achsenführung der Blicke intensiviert, welche jene kommunikative Situation als diejenige eines ganz bestimmten Lebensabschnittes erst anschaulich macht.

Diese Situation ist also eine wichtige Station im beruflichen Werdegang der Künstlerin, denn als „Beruf“ im wahrsten Sinne des Wortes, wenn nicht als Berufung, müssen wir ihre Tätigkeit in jedem Fall auffassen, unabhängig davon, ob sie davon auch finanziell leben kann. Jener Werdegang ist mir aus ihren Werken und ihren Erzählungen einigermassen bekannt, während ich ihre massgebende Lehrerin und die verschiedenen Orte ihrer Ausbildung (noch) nicht kenne. Dagegen lernte ich ihre, im engeren Sinne lebensweltliche Beziehung zu ihren Eltern noch vor derjenigen zu ihrem Ehemann aus eigener Anschauung kennen, wenn auch unter den aussergewöhnlichen, eingangs erwähnten Bedingungen eines Krankenzimmers. Jedenfalls erlebte ich jene Beziehung als sehr intensive. Es liegt deshalb nahe, dass eine Künstlerin, deren Hauptthema der Mensch ist, so wie sie ihre Lehrerin und ihre Mitschülerinnen porträtierte, jetzt auch ihre Eltern darstellt. Sie berichtet vom Versuch je eines Einzelporträts ihres Vaters in Pastell und ihrer Mutter in zeichnerischer Technik. Nun ist es problematisch, Kunstwerke generell (primär) biographistisch als (expressive) Selbstaussage ihres Schöpfers zu deuten und so die spezifische Stilqualität des Expressionismus (nicht nur des 20. Jahrhunderts) unbesehen zu verallgemeinern. Mehr oder weniger legitim erscheint dies jedoch sicher gerade bei Selbstporträts (Rembrandt, Beckmann), Bildnissen des Ehepartners (Rembrandt, Rubens), der Geliebten (Picasso) oder eben der Eltern, sei es einzeln (Rembrandts Mutter) oder zusammen (Dix in zwei Fassungen). Gegenüber solchen kunstgeschichtlichen Autoritäten betont nun Charlotte Esch zu Recht, dass sie, nachdem sie einmal das handwerklich-technische und kompositorische Fundament ihrer Kunst gelegt hat, weniger oder gar nicht nach irgendwelchen Vorbildern arbeitet, sondern aus sich selbst heraus, dass also in ihren Werken sich ergebende Parallelen zur Kunstgeschichte (meist) zufällig sind. Deshalb ist auch ihre „Methode“, die Aufgabe, ihre Eltern zu porträtieren, zu lösen, so eigenartig und „unkonventionell“. Sie lässt sich (provisorisch) in den Teil ihres Werks einordnen, der zur Objektkunst im weiteren Sinn gehört.

Zugegeben: Die bisher skizzierte Ableitung ist eine hypothetische Rekonstruktion der Situation der Künstlerin, die notwendig ist, um das Werk oder das Projekt – beide Bezeichnungen mögen vorläufig zulässig sein – annähernd zu verstehen, das den zunächst rätselhaften und jedenfalls anspruchsvollen Titel „Da-gewesen - Spuren einer Familie“ trägt. Wir wollen hier von der Sache und nicht, Sprachanalyse einübend, vom Titel ausgehen. Trotzdem kann selbst der philosophisch interessierte Laie die Assoziation von „Da-gewesen“ mit Heideggers Analyse des „Daseins“ nicht vermeiden. Wenn man den Kontext von Charlotte Eschs Gesamtwerk und ihrer Erläuterungen zu diesem einbezieht, ergibt sich jene Assoziation zwanglos, denn die Künstlerin und ihr Schaffen kann auch mit, wie immer zu präzisierenden, „existenzialontologischen“ Kategorien erfasst werden, die sich gerade beim vorliegenden Werk besonders deutlich anbieten. Diese Aufgabe müsste einer Spezialstudie überlassen werden, die ich für durchaus denkbar halte, die aber strengen Kriterien genügen müsste und deshalb für diesen einführenden Katalogbeitrag und auch für ein Referat auf einer Vernissage ungeeignet wäre. Wir bedienen uns hier vielmehr einer nüchternen und leicht verständlichen technischen Sprache und geben hierzu der Künstlerin selbst das Wort, die dabei in die Rolle der Erfinderin schlüpft:

„Aufnahmetechnik für das Projekt „Da-gewesen – Spuren einer Familie“
Die Kamera, mit der die Bilder für „Da-gewesen“ aufgenommen wurden, überlagert in bislang einzigartiger Weise das sichtbare Licht, welches für mich als Künstlerin das bisher ausschlaggebende war, mit einer Repräsentation, die sich dem menschlichen Auge nicht unmittelbar erschliesst: der Wärmestrahlung.
Dabei kann ich die Darstellung der Wärmestrahlung so wählen, dass die von mir gewünschten Farben und ihre Intensität meinen künstlerischen Zielsetzungen entsprechen.
Die Fotos werden in regelmässigen zeitlichen Abständen ausgelöst, so dass sich bei den Bildserien eine Vergleichbarkeit ergibt.
Die Arbeiten führe ich grösstenteils am Computer durch. Danach werden diese Dateien auf Papier oder Leinwand ausgedruckt und können von mir mit klassischen Maltechniken nachgearbeitet werden.“

Wir wenden uns von dieser Schilderung des Verfahrens durch seine Schöpferin direkt zum Eindruck, den das „Produkt“ als Resultat auf den Betrachter, hier einen naturwissenschaftlichen und technischen Laien, macht, und der uns zu dem unterbrochenen Rundgang in dem Atelier zurückführt. Charlotte Esch konfrontiert den Besucher unvermittelt mit einer Serie von Aufnahmen, die eine ganze Wand einnehmen und nur ungenau, vielmehr irrtümlich, als photographisch bezeichnet werden können, weil sie eben nicht das dem menschlichen Wahrnehmungsapparat kompatible und deshalb alltäglich vertraute (optische) Licht festhalten, sondern mit der Wärmestrahlung einen dem Auge normalerweise unzugänglichen Bereich elektromagnetischer Wellen. Die an der Atelierwand dokumentierte Aufnahmenserie besteht aus drei, übereinander angeordneten Zeilen. Nur die jeweils ersten Bilder jeder Zeile zeigen Porträts, und zwar sitzend in ganzer Figur, nämlich oben beide Eltern der Künstlerin zusammen, in der Mitte die Mutter und unten den Vater, jeweils allein. Auf den in jeder Zeile folgenden Bildern (oben vier, in der Mitte und unten je fünf) sind nur noch die fauteuilartigen Sessel (oben jeweils zwei, sonst nur einer) zu sehen, auf denen die Personen gesessen hatten. Diese, nur für sich gesehen, eintönig wirkende Repetition wäre phantasie- und sinnlos, ein trauriges Zeugnis schlechter Tendenzen in der Gegenwartskunst, wenn es nur um die dinglich-mechanische Präsenz dieser Sessel ginge, um das Holz ihres konstruktiven Gestells und um den Stoff ihrer Bezüge. Erst die physikalische Gesetzmässigkeit, welche durch die Aufnahme der Wärmestrahlung mittels der „Wärmekamera“ sichtbar gemacht wird, macht den, zunächst „nur“ technisch-naturwissenschaftlichen Sinn und Zweck der ganzen Veranstaltung der Bilder und der ihr dienenden Apparatur überhaupt erst deutlich. Sie lässt auf den Sitzflächen und den Rücklehnen, teilweise sogar auf den Armlehnen die Spuren der Wärmestrahlung sichtbar werden, welche die Körper der porträtierten Personen, welche zusammen mit den nicht-menschlichen Säugetieren und den Vögeln zur zoologischen Gattung der Warmblüter (im Gegensatz zu den Kaltblütern wie Echsen, deren Körpertemperatur von der Umgebung abhängt) gehören, ausgesendet und zurückgelassen haben. Die zeitlich diskret, in regelmässigen und gleich grossen Intervallen oder Abständen angeordneten bzw. unterteilten Sequenzen bilden ab, wie diese Spuren sukzessive schwächer werden, und sich diese allmähliche Reduktion einem vollständigen Verschwinden asymptotisch nähert.

Diese kurze Beschreibung folgt ohne Vollständigkeitsanspruch den üblichen kunsthistorischen Methoden, obwohl ihr Gegenstand nicht im engeren Sinne kunsthistorisch ist, und ist deshalb ein gegenüber den Ansprüchen des Werks unzulänglicher Behelf. Diese Ansprüche sind nun in der Tat nicht gerade klein, was auffällt, weil das äussere Auftreten der Künstlerin sehr bescheiden und alles andere als anmassend wirkt. Das ist darin begründet, dass, was bereits an dieser Stelle betont werden muss, das geschilderte technische Prozedere einer künstlerischen Idee „entspringt“ (in buchstäblicher Bedeutung), die insofern „geniale“ und „inspirative“ Züge trägt, als sie nicht (allein) aus der, bei Charlotte Esch zur Genüge bekannten, beständigen künstlerischen Arbeit erklärbar ist, sondern (auch) einem einmaligen glücklichen schöpferischen Moment verdankt wird. Die Bedeutung dieser (philosophisch mehr mit Kant als mit Platon zu konzipierenden) Idee kann daran ermessen werden, dass die Künstlerin, auch auf Anraten ihrer Lehrerin, für sie eine Art künstlerischen Patentschutz gegen mögliche Plagiate unseriöser Kollegen postuliert, der zwar juristisch folgenlos ist, da es keine Patentämter für Künstler gibt, aber ihre „eingeweihten“ Partner und Freunde doch zum Respekt vor ihrem Erfindergeist und so auch den Berichterstatter zum Stillschweigen bis zur Publikation verpflichtet, so dass dieser das ihm erwiesene Vertrauen umso höher zu schätzen weiss. Zu diesen gewichtigen Ansprüchen stehen nun allerdings die Erklärungen der Künstlerin, mit denen sie die ersten Fragen des Besuchers im Atelier im Angesicht des Werkes beantwortete, in einem merkwürdigen Kontrast. Sie gab nämlich an, ihre Eltern hätten bei der experimentellen Anordnung als blosse und zufällige „Versuchskaninchen“ fungiert. Dies vor allem deshalb, weil sie die unter sich (mehr qualitativ als quantitativ) differenten Werte der Wärmestrahlung bei ihrem Vater und bei ihrer Mutter als einen Unterschied zwischen Mann und Frau besser beobachten konnte, als wenn sie etwa ihren Ehemann, ihre Söhne oder ihre Brüder engagiert hätte, auf die, wie sie erst später sagte, das Projekt ebenfalls noch ausgedehnt werden soll. In der Tat ist die Haltung der Körper, die „Körpersprache“, welche die Porträts selbst und die von den Körpern hinterlassenen Wärmespuren übereinstimmend abbilden, zu einem erheblichen Teil als geschlechtsspezifisch definierbar, besonders die Stellung der Beine zueinander (geöffnet beim Mann, geschlossen bei der Frau), während der Unterschied zwischen den Doppel- und Einzelporträts hauptsächlich in der Position der Köpfe zum Ausdruck kommt, ihrer gegenseitigen Zuwendung dort und ihrer mehr frontalen Ausrichtung hier. Da die Köpfe die Rücklehnen überragen, hinterlassen letztere keine Wärmespuren auf den Sesseln. Indem derart der „vergeistigte“, individualisierte Teil der menschlichen Person ausfällt, wird der, symbolisch gesehen, mehr „leibliche“, natürliche, der Physik des Organismus unterworfene umso mehr hervorgehoben und thematisiert. Zwar sind die porträtierten Personen, wie üblich, bekleidet, aber die zurückgelassenen Spuren ihrer Körperwärme entsprechen derjenigen von Akten und bilden sie eigentlich als solche ab. Sie sind insofern eine subtilere (der Künstlerin unbewusste) Fort- und Umsetzung dessen, was der Aktionskünstler Yves Klein (1928-62) vorführte, als er die Körperformen seiner weiblichen Aktmodelle, die er mit Farbe, meist Blau, bemalt bzw. übergossen hatte, als Abdrucke auf Leinwand sichtbar machte. Man könnte, durch diesen Vergleich angeregt, das künstlerische Konzept, Spuren von Dingen und vor allem Menschen festzuhalten und sichtbar zu machen, kunstgeschichtlich und auch in der Gattungsdimension erweitern, indem man den (zweidimensionalen) Druck (auf Papier und Stoff) sowie den (dreidimensionalen) Abdruck (in Massen aus Ton und Metall) und die Prägung (Münzen) mit einbezieht. Allein dadurch liefe das Konzept Gefahr, verwässert zu werden. Diese medialen Möglichkeiten können nur dazu dienen, als Hintergründe die Konturen des Werks von Charlotte Esch schärfer zu ziehen.

Jener Widerspruch zwischen dem hohen Anspruch des Werks und seiner zufällig wirkenden Implementierung mit irgendwelchen Versuchspersonen erklärt sich zunächst im Sinne eines „nur“ physikalischen Experiments auf, bei dem die Qualität des Erfahrungsobjekts (hier der Versuchspersonen, bei Galilei des fallenden Steins) gegenüber der Versuchsanordnung selbst gleichgültig ist. Der von der Künstlerin bei der ersten Vorstellung ihres Werks erhobene Anspruch, dass hier eine objektivierte Versuchsanordnung wertneutral installiert wurde, überzeugt durchaus, solange man (nur) die bereits oben angesprochene „vernünftige“ Seite ihres Wesens in Betracht zieht, die etwa in ihrem chronologisch durchorganisierten Archiv zum Ausdruck kommt, das nicht nur künftigen Forschern die Arbeit erleichtert, sondern auch ein hohes Mass an Selbstreflexion bezeugt. Wenn man jedoch ihre andere, gleichsam dunklere Seite ebenfalls berücksichtigt, die selbstverständlich primär ihrer formalen Gestaltungs- und Kompositionsweise, ihrem Stil inhäriert, am leichtesten aber in der Ikonographie, dem „Inhalt“ ihrer Werke, fassbar ist, die oft (im weitesten Sinne) allegorisch-symbolischen Charakter zeigen und (zunächst) verbaler Erläuterung bedürfen, kommen Zweifel an jenem scheinbar einfachen und einleuchtenden Erklärungsmodell auf. Wer Charlotte Esch im Umgang mit ihrem (kranken) Vater und ihrer Mutter gesehen, sie von ihren Eltern sprechen gehört hat und zudem das vorliegende Werk qualitativ in das Wesen und die Entwicklung ihrer Kunst einzuordnen versucht, kann nicht glauben, dass die Wahl ihrer Eltern als „Versuchspersonen“ zufällig gewesen sei. In den mündlichen und schriftlichen Erläuterungen zur Interpretation ihrer Werke, die mir schon vorher bekannt gewesen waren, sind Tendenzen anzutreffen, die man (wiederum im weitesten Sinne) als mystisch bezeichnen kann. Diese sind unbedingt ernst zu nehmen, auch vom Agnostiker, der über solche Erfahrungen nicht verfügt und sich etwa der erwähnten existenzialontologischen Kategorien bedient, die davon zu unterscheiden sind. Die Wärmestrahlungen der Körper der ihr am nächsten stehenden Personen können, ja müssen für die Künstlerin neben der unbezweifelbaren physischen auch eine meta - physische (= „über die Natur in ein „Jenseits“ hinausreichend, sie transzendierend“) oder, schwächer formuliert, eine metaphorische Bedeutung haben. Der Rezipient dieser Bilder ist nicht nur naturwissenschaftlich eingestellter Beobachter, sondern auch geisteswissenschaftlich („hermeneutisch“) intendierender Betrachter und Interpret.

In den weiteren Gesprächen mit der Künstlerin wurde diese Vermutung und Erwartung denn auch vollauf bestätigt. Dem scheint ein innerer Reflexionsprozess zu entsprechen. Sie überschritt das zunächst rein physikalisch verstandene Experiment metaphysisch, indem sie es nachträglich unter den jetzt massgebenden Titel stellte. Ich zitiere sie nochmals:

„Die Menschen in ihrer Wärme und in dem, was sie in ihrer Wärme hinterlassen, zu dokumentieren, war mir wichtig.
Wärme sichtbar fürs Auge. Der Mensch hinterlässt Spuren, auch wenn er nicht mehr da ist. Auch nach seinem Weggehen bleiben die Wärmespuren noch lange erhalten und schwächen sich erst mit der Zeit ab.
Meine Aussage bezieht sich auch auf die Unendlichkeit, auf die Transzendenz, auf ewig endliche und unendliche Wirklichkeit.
Ahnen hinterlassen ihre Spuren über den Tod hinaus, z.B. durch Vererbung an die Nachkommen.
Die Erkenntnis, dass man selber Spuren hinterlässt. Seine Verantwortung erkennen. Es gilt, sich selber zu hinterfragen, aber auch Verhaltensmuster anderer Menschen wahrzunehmen.“

Es spricht für die künstlerische Authentizität von Charlotte Esch, dass diese Aussage kein der Arbeit vorangehendes, für sich vorausgesetztes intellektuelles Programm darstellt, das nachträglich im Werk umgesetzt würde, vielmehr eine „nachgereichte“ Interpretation, die umgekehrt jenes voraussetzt. Vorangegangen waren nicht Worte, sondern Werke, ausser den bereits erwähnten Porträts auch Bilder, welche die Aspekte der Genealogie und Vererbung thematisieren. Dass die Folgerungen und Ansprüche einer praktisch-normativen Ethik, die sich deutlich vom ästhetischen Intellektualismus der Aussagen anderer Künstler unterscheiden, im Leben der Künstlerin verankert sind, kann man ihren Erzählungen entnehmen. Die philosophische Schlichtheit und Geradheit dieser einfach aufgereihten Sätze berührt sehr sympathisch und kontrastiert mit den geschliffenen Worthülsen, mit denen nichtssagende Produkte der Gegenwartskunst oft kaschiert werden. Charlotte Esch betont, dass sie nicht gebildet sei. „Herzensbildung“ dazu zu sagen, mag altmodisch und romantisch klingen. Attestieren wir dem Expressionismus der Künstlerin ungeniert einen Schuss Romantik, wie ihn auch Gropius 1919 in seinem Bauhausmanifest formulierte, das die Arbeit von Charlotte Esch vorwegzunehmen scheint: „Architekten, Bildhauer, Maler, wir alle müssen zum Handwerk zurück! Der Künstler ist eine Steigerung des Handwerkers. Gnade des Himmels lässt in seltenen Lichtmomenten, die jenseits seines Wollens stehen, unbewusst Kunst aus dem Werk seiner Hand erblühen, die Grundlage des Werkmässigen aber ist unerlässlich für jeden Künstler.“ Viele Produkte der Gegenwartskunst entbehren dieser handwerklichen Grundlage, deren sich Charlotte Esch versichert hat, und verkörpern einen gewollten Manierismus im schlechten Sinne. Diesen zu überwinden und zur Natur zurückzukehren, ähnlich wie es die Carracci um 1600 in Italien beim Übergang zum Barock taten, ist nicht zuletzt der Appell, der von diesem naturwissenschaftlich fundierten Werk ausgeht.

Meine Überlegungen wollen den Betrachter nicht auf eine inhaltlich bestimmte Deutung dieses komplexen und kühnen experimentellen Werks festlegen, vielmehr einen Spielraum von Denkmöglichkeiten eröffnen helfen, der stets neu auszufüllen und zu realisieren ist. Ich weiss auch nicht, ob dieses Werk ein Ausweg aus der skizzierten künstlerischen und persönlichen Situation von Charlotte Esch oder ein Umweg ist, an dessen Ende gemalte Porträts der Eltern und der ganzen Familie stehen werden, denen dann weitere, verbesserte Werke dieser Gattung folgen können. Dass es ein entscheidender Schritt auf einem konsequenten Weg einer überzeugenden künstlerischen Entwicklung ist, bin ich hingegen rational und intuitiv ganz sicher. Immerhin glaube ich Mensch und Werk inzwischen so gut zu kennen, um sagen zu können, dass Charlotte Esch ihr nicht bruchloses Leben immer mehr in einer Weise in ihren Werken reflektieren wird, die auf der Grundlage handwerklichen und kompositionellen Könnens allgemeingültige menschliche Werte darstellt, die von keinem anderen Medium, insbesondere auch nicht durch die Sprache, eingeholt und ersetzt werden können. Deshalb stehen auch diese Ausführungen im Dienst der Kunst von Charlotte Esch.

Ennenda GL/Schweiz, 26. September 2014, Prof.Dr. Daniel Aebli




Zum Werk von Charlotte Esch


Dr. Heidrun Wirth

Die Kupferdruckfarben leuchten. Charlotte Esch hat lange nach solcher Leuchtkraft gesucht, nach Farben, die unter ihren Spachtelzügen heftig aufblitzen und die doch auch ein dunkles Überdecken ermöglichen.
So entstanden die blauen Bilder, darunter das dunkelblaue Paar (2012) „Matrix-Welten II“ – Figuren scheinen aus dem Dunkel ans Licht zu treten.
Der Arbeitsprozess bleibt nachvollziehbar. „Für mich ist es wichtig, dass alles sichtbar ist.“ Zuerst wurden die Personen auf den Bildträger gebracht, dann wurde mit dem Spachtel darüber gezogen, so dass sich Farbmischungen und -verdichtungen ergaben.
Obwohl der Arbeitsablauf vorher genau festgelegt wurde, staunte die Malerin immer wieder darüber, dass sich während der Arbeit Unvorhergesehenes ergab. „So gut ich auch vorher alles plane, entsteht doch während des Prozesses oft etwas Neues und die Erlebnisse, die man dabei hat, die sind gigantisch.“
Zur vorangehenden Planung gehört beispielsweise, dass die Malerin die Hautfarbe der Figuren vorher mit Leinöl mischt. Mit dem dunklen Umfeld bezieht sie sich nicht nur auf ein Hervortreten der Figuren aus dunklem Umfeld, sondern darüber hinaus auf ein Eingebundensein des Menschen in ein Ganzes, in ein Universum vielleicht. Es liegt darin etwas Schwebendes, ein Sich-im-Fluss-Befindendes, das sich ebenso gut auf den Raum wie auf die Zeit beziehen kann.
So heißt denn auch eine ihrer Arbeiten „Zeitstrahl“, ein Bild, in dem auf mattem tiefgrauem Grund orange, weiße und nachtblauweiße gekrümmte Streifen durch das Bild laufen. Sie enden nicht am Bildrand, sondern scheinen darüber hinauszulangen und auf dem Rechteck des Bildträgers erscheinen sie wie zufällig eingefangen.
In den Farben und klaren Beschränkungen scheint die Künstlerin damit an den italienischen oder russischen Futurismus anzuknüpfen, an die kompromisslose Dynamik und Aufbruchsstimmung. In der erwähnten blauen Serie der Matrixbilder sind diese sphärischen Schwünge übrigens auch schon zu finden. Hier sind sie hell und wir kennen Bilder von Delaunay oder sogar von August Macke, in denen diese raum- und zeitbezogenen Schwünge im futuristischen Sinne vorkommen.
Charlotte Esch bleibt in Technik und Komposition aber nicht stehen – ihre Experimentierlust treibt sie immer weiter. Sie experimentiert mit verschiedenen Grundierungen oder spürt dem nach, was mit den Farben passiert, wenn man von einer Glasplatte im Abklatschverfahren abdruckt. Sie dringt über die glatte Bildfläche in den Raum vor, indem sie mit massiven Holzkästen als Bildträger arbeitet.
Seit 2005 widmet sie sich dem künstlerischen Tun mit voller Energie. In einem dreijährigen Basisseminar bei Rosemarie Bassi lernte sie Bildgestaltung, Kompositionsaufbau sowie die verschiedensten Techniken. Mit ihrer Abschlussarbeit „Rosemarie und ihre Frauen“ wurde sie dort in die „Meisterklasse“ aufgenommen.

Das große Bild in Pastell erinnert mit seinen sphärischen farbigen Flächensegmenten auch an ein Glasbild. Drei Frauengestalten scharen sich um Rosemarie, auf Augenhöhe ohne Hierarchie. „Dieses Geben und Nehmen, das ist ihre Persönlichkeit“, erklärt Charlotte Esch.
Ein harmonisches Gleichmaß durchzieht das Bild. „Jede ist hier wohlwollend“, beschreibt sie die Atmosphäre. Die Farben wurden mit den Fingern verrieben. Farbfelder und Linien setzen sich auch hier über den Bildrand hinaus fort, als wollten sie die Offenheit andeuten, die in jeder künstlerischen Entwicklung liegt.
Charlotte Esch hat ihre Lehrerin Rosemarie Bassi auch in einem weiteren spontanen Pastell eingefangen. Man sieht die vom Wiener Aktionismus geprägte bekannte Kunstlehrerin und Galeristin vor sich in Temperament und Haltung. Zu schätzen wusste Charlotte Esch stets „die gewisse Strenge und Ordnung“, die von ihrer Lehrerin ausgeht.
Zum Abschluss der Meisterklasse 2012 wurden die blauen Matrixbilder in einer Kabinettausstellung im Europäischen Kulturzentrum Remagen, Galerie Rosemarie Bassi (MA) gezeigt.
In Mischtechnik hat Charlotte Esch auch das beeindruckende Gemälde einer brennenden Stadt am Fluss geschaffen, das so gut zum Gedenkjahr des Ersten Weltkriegs 2014 passt. Im Vordergrund sind die Köpfe toter „Helden“ zu sehen, martialisch harte Köpfe, von unten gesehen und an die alten Gefallenendenkmäler erinnernd. Diese Köpfe bilden ein Ufer, hinter dem sich das blaue Band des Flusses hinzieht. Dahinter leuchtet in brennendem Rot-Ocker die brennende Stadt am anderen Ufer.
Und man sieht: Charlotte Esch greift die Themen der Zeit auf, lässt sich vom QR-Code inspirieren oder auch von der Genforschung. Wie uralte Web- und Knüpfmuster finden die DNA-Ketten malerisch zusammen, wie in einem „Stammbaum“ oder „Zeitstrahl“, in dem unsere Existenz (in abstrahierter Form) wieder ans Licht tritt. Es sind Bausteine und zugleich ist es simple Geometrie: Zwei und Zwei finden zusammen, daraus entsteht ein Neues. Die Farben sind klar und hell und präzise gesetzt. Der vielfach geschmirgelte und abgewischte Bildgrund ist von einfachem stumpfem Grau. Orange und Blau oder Violett heben sich klar davon ab. Rechtecke werden in langen Reihen hintereinander gestaffelt, verschwinden oder drängen hervor.
Dabei bemerkt die Künstlerin, dass dieses Vor und Zurück, ein solches Kommen und Gehen, auch für sie selbst gilt, denn sie fühlt sich selbst so im Fluss, wie alles rings um sie herum.

Bonn, 04.08.2014, Dr. Heidrun Wirth



Nachtrag - zu „Ein Besuch im Atelier von Charlotte Esch“



Nachdem ich mit dem Übergang von der physischen zur metaphysischen Bedeutung von „Da-gewesen – Spuren einer Familie“ einen Interpretationsspielraum „formal“ (im Sinne Kants transzendental als Bedingung der Möglichkeit) eröffnet habe, drängt es mich doch, wenigstens die Perspektive auf eine persönliche, inhaltliche Deutung zu geben.

Indem es Wärme und ihre Strahlung thematisiert, ist dieses Werk von Charlotte Esch, durchaus repräsentativ für ihr Gesamtoeuvre und auch ihre Persönlichkeit, zugleich (in einem positiven Sinn) unzeitgemäss und utopisch-zukunftsträchtig. Als expliziter Gegensatz protestiert es gegen ein heute verbreitetes Idol, gegen ein Mode- und Schlagwort. Es ist nämlich nicht „cool“, vielmehr bewusst „uncool“, eben warm. Auch die porträtierten Personen sind das. Charlotte Eschs Mutter ist eine verständnis- und gemütvolle, aber auch stolze Hausfrau; hier trifft das sonst eher modisch-korrekte Wort von der „Familienfrau“ einmal wirklich zu. Ihr Vater war Bankdirektor, etwas ganz anderes als die heutigen „Banker“, der letzte Bürgermeister der selbständigen Gemeinde Buschdorf, kein Verwalter. Beide repräsentieren eine scheinbar untergegangene Welt, ein Bürgertum, das nicht die Kälte ausstrahlt, die ihm Adorno attestiert.

Vererbung: Ihre naturwissenschaftlichen Gesetze wurden im 19. und 20. Jahrhundert entdeckt und in die Darwinsche Evolutionstheorie integriert, welche, besonders der Begriff der Selektion, ideologisch schrecklich missbraucht wurde. Der Jude Adorno brachte die bürgerliche Kälte mit Auschwitz in Verbindung. Sein Kontrahent Heidegger leistet – trotz seiner eigenen Verstrickung – mit seiner Daseinsanalyse für unser Werk jenen Übergang. Ich zitiere „Sein und Zeit“ hier zusammenfassend: „Geworfener Entwurf“. Der Mensch tritt mit dem Zufall seiner Geburt („Geworfenheit“) zugleich in sein Dasein und in seine Familie ein und übernimmt damit für beide gestaltende Verantwortung („Entwurf im Vorlauf zum Tode“, „Mitsein“).

Die Wärmestrahlung von „Da-gewesen – Spuren einer Familie“ evoziert Gegenbilder gegen die Kälte, gegen jenes gedankenlose Motto der zeitgenössischen Jugendkultur, aber auch gegen jahrhundertmächtige Begriffe wie Selektion und Anpassung. Sie appelliert an den Sinn für Gemeinschaft. Wagen wir dieses geschichtlich oft missbrauchte Wort und wenden wir uns zum Beschluss dieser Andeutungen nochmals der Kunstgeschichte zu, einem der Höhepunkte in der Entwicklung des Porträts. Dieser stellt, ähnlich wie das Werk von Charlotte Esch ihre Eltern, als Doppelporträt, das ein Selbstbildnis und dasjenige einer Geliebten vereinigt, das Schicksal einer Gemeinschaft in der malerisch differenzierten Verschmelzung der Farben und der Leiber dar, die an die Kupferdrucke unserer Künstlerin erinnert. Ich meine „Die Windsbraut“ (Basel, 1914 – auch ein Jubiläum!) von Oskar Kokoschka, dessen Enkel-Schülerin Charlotte Esch ist. Geistige Vererbung?

Ennenda, 4. Oktober 2014, Prof.Dr. Daniel Aebli